Quantcast
Channel: Seekajakforum - Seekajakforum
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2949

Paddeln in kaltem Wasser (keine Antworten)

$
0
0
Mache hier mal ein neues Fass auf. Angeregt durch den Faden "Seenotrettung Grömitz" möchte ich einige Punkte auf Grundlage von Fakten beleuchten.

Kaltes Wasser ist potensiell lebensgefærlich. «kalt» ist relativ aber alles bis 15 Grad Wassertemperatur kan für einen Paddler ohne Trockenanzug nach einem Ausstieg zu einem ernsten Problem werden.

Bei Paddlern erfolgt praktisch ausnahmslos der Tod durch ertrinken und nicht wie fælchlicherweise oft angenommen wird durch «Hypotermie».


Praktisches Beispiel: Unfreiwilliger Ausstieg aus dem Boot bei 6-8 Grad Wassertemperatur, Paddler ohne Trockenanzug mit normaler Sportkleidung.

Die erste Phase ist der Kälteschock er tritt sofort nach dem eintauchen in kaltes Wasser ein. Nach abrupter Abkühlung der Haut durch kaltes Wasser und besonders des Kopfes gerät die Atmung ausser Kontolle. Bereits hier besteht die Gefahr das man kurzzeitig unkontrolliert Wasser in die Luftwege bekommt. Der Kälteschock tritt typischerweise bei Wassertemperaturen zwichen 0 und 15 Grad auf. Es gibt individuelle Unterscheide wie der einzelne reagiert. Die gute Nachricht in allen Fällen geht diese Phase nach etwa 1 Minute vorbei. Danach stabilisiert sich bei einem gesunden Menschen die Atmung wieder.

Nach einer Minute beginnt die Phase der schrittweisen Abkühlung, sie dauert je nach Wassertemperatur und Kleidung unterschiedlich lang. In unserem Beispiel sind etwa 5 -15 Minuten realistisch. In dieser Phase hat man gute Kontrolle über seinen Körper (Bewegung, Atmung, kognitive Fähigkeiten). Bereits nach kurzer Zeit lassen diese jedoch schrittweise und langsam nach. Schon nach etwa 5-10 Minuten werden die Finger in unserm Beispiel steif und die Bewugungen langsam unwillkürlich.
Bereits nach 10 Minuten wird es kaum möglich noch aktiv anstrengende Wiedereinstiegsversuche zu starten. Die Kälte lähmt Arme und Beine schrittweise immer mehr. Man ist noch lange bei Bewusstsein und noch sehr lange von einer Unterkühlung (Hypotermi) entfernt.

Erst jetzt beginnt nach den ersten 10 Minuten beginnen schrittweise die Phasen der Hypotermi, sie geht durch mehrere Grade von einer Stunde bis im Einzelfall über viele Stunden und am Ende erfolgt der Tod durch Herzversagen.

Der normale Paddler ist allerdings schon lange vorher ertrunken. Nach der Phase der schrittweisen Abkühlung (5-10 Minuten) wird es mit unseren Paddelwesten schnell immer schwerer sich kontrolliert mit Mund und Nase uber Wasser zu halten um die unkontrollierte Einatmung von Wasser zu vermeiden. Die Bewegungen werden einfach zu langsam. Gerät man auch nur kurzzeitung in leichte Bauchlage sind die Atemwege akkut gefærdet.
Der Seegang hat einen wesentlichen Einfluss ob und wie lange man die Atemwege trocken halten kann. Erst bei lange weiter vortschreitender Unterkühlung treten Bewusstseinstöhrungen (auch kurzzeitig) auf. Der Tod durch ertrinken (Wasser in den Atemwegen) geht dann sehr schnell.

Der Kørper ist dann aber immer noch lange (oft Stunden) vom Tod durch Hypothermi (Herzversagen) entfernt.

Nur eine Rettungsweste kann einen Menschen der an Unterkühlung leidet in einer Position halten die freie Luftwege sichert. Solche Rettungswesten sind aber für uns Paddler unbequem, weil zu sperrig und zu gross. Lediglich manuelle auslösbare und aufblasbare Rettungswesten sind in einem Kajakk teoretisch brauchbar. Hier in meiner Heimat Norwegen habe ich noch niemals einen Padler mit einer solchen Rettungsweste gesehen. Alle nutzen Schwimmhilfen (Schwimmwesten) die einem gut dabei helfen den kurzzeitigen Kälteschock «auszusitzen» um wieder die Kontrolle über die eigene Atmung zu bekommen. In den unterscheidlichen Phasen der Hypotermi helfen diese Schwimmhilfen dagegen nur am Anfang. Selbst wenn man noch Stunden vom Tod durch Unterkühlung (Hypotermi) entfernt ist, wird man mit unseren Paddelwesten in kaltem Wasser ertrinken.

Was tun?

Ganz einfach = Trockenanzug beutzen!

Ein einfacher Trockenanzug alleine nutzt allerdings wenig, er hält lediglich trocken aber nicht warm. Warm kann nur die Kleidung unter dem Anzug halten. Aber schon eine Lage mit langer Sportunterwäsche, gerne aus Wolle hilft gewaltig und in fast jedem Fall wird diese Kombination den Kenterer vor einem Kälteschock (erste spontane Reaktion) mit unkontrollierter Atmung schützen und damit das Risiko breits in der ersten Minute unkontrolliert Wasser in die Luftwege zu bekommen minimieren.

Mit 2 Lagen langer Wolle unter dem Trocki wird mir bei 6-8 Grad Wassertemperatur bereits nach 5 min kalt, aber ich kann problemlos 10-20 Minuten kontrolliert agieren. Lediglich die Hände sind immer ein Problem. Nach einer halben Stunde bin ich in dem Bespiel zwar ordendlich kalt, zittere unkontrolliert aber kann noch halbwegs die Kontrolle behalten. Ohne Trockenanzug wäre ich dann bereits kältellahm ertrunken - noch weit entfernt von einer tödlichen Hypothermie.

Der Trockenanzug mit praksistauglicher Unterwäsche schützt auch nicht stundenlang vor Kontrollverlust. Aber er verlängert die Zeit in der ich einen Plan zur Rettung machen und ausführen kann erheblich.
Der wichtigste Punkt ist jedoch, er erspart in der Regel den Kälteschock, wenn ich eine Kopfbedeckung (Neoprenhaube) trage auch in in sehr kaltem Wasser. Alternativ hilft das Gesicht nass zu machen, bevor die Rolle schief gehen kann.

Aber der enscheidende Punkt ist das ich nach dem Wiedereinstieg problemlos weiter paddeln kann, ohne in nassen Klamotten weiter Wärme zu verlieren und kältelahm die nächste Kenterung provoziere. Auch hält er mich warm nachdem ich erst mal im Wasser meine 7 Sachen sortieren musste, eventuell noch von brechenden Felsen weg schwimmen muss (mein Boot an einer 15m langen Schleppleine) um mir Platz und Zeit zum Wiedereinstieg, mit oder ohne Kameratenhilfe, zu verschaffen. Das dauert mal gerne 5 Minuten und auch bei 3 Grad Wassertemperatur kann man das problemlos mit einem Standard Trockenanzug bewältigen.

Ein einfacher Trockenanzug mit langer Wollunterwäsche macht das Paddlerleben erst lebenswert.

Ich trage ihn die meiste Zeit des Jahres, oft nur mit dünner Wolle darunter. Lediglich im Frühommer wenn das Wasser noch kalt (unter 15 Grad) ist und die Sonne einen im Trocki grillt, kan er etwas nerven. Aber dann macht man einfach alle halbe Stunde eine Rolle. Das macht Spass und erfrischt. Mit dem Anzug mache ich mir über Wind, Regen und Wellen keine Gedanken mehr. Nachts im Schlafsack, tags im Trockenanzug - satt, warm und trocken - fertig.

Lediglich von Juli bis September ist das Wasser mit 15 Grad warm genung um mit «normalen» Paddlerklamotten zu paddeln. In Mittel und Nordnorwegen ist dagegen das ganze Jahr ein Trockenanzug obligatorisch da die Wassertemperaturen immer unter 15 Grad liegen.

Neopren Nassanzüge machen aus meiner Sicht keinen Sinn. Sie sind besser als nichts, aber im Winter nicht warm genug, wenig variabel der Temperatur kaum anzupassen und meist zu unbequem.


An einer Stelle kam die Frage auf was professionelle Seenotretter tragen? Darauf kann ich als opperative Besatzung der norwegischen Seenotrettung (+RS) antworten: Einen normalen Trockenanzug mit Wolle darunter. Je nach Temperatur ein bis 3 Lagen und dicke Socken.
Der Anzug ist im Prinzip nichts anderes als ein Paddeltrockenanzug. Er soll auch nichts anders können als bei einem unfreiwilligen sowohl auch bei einem notwendigen Bad vor dem Kälteschock zu schützen und die Aktionszeit bei voller Beweglichkeit im Wasser zu verlängern. Allerdings tragen wir auf den Rettungsschiffen immer volltaugliche Rettungswesten. Offshore immer automatik selbsaufblasend und bei Schwimmeinsatz Feststoffwesten.

Der professionelle Trockenanzug ist allerdings aus etwas robusterem und verscheleissfesterem Material, nebenbei noch flammhemmend (GoreTex Nomex).

Trockennazüge sind nicht zu verwechseln mit Überlebensanzügen. Letztere sind isoliert und sollen die Auskühlung und den Tod durch Herzversagen (Hypotermie) bis zu mehreren Stunden verzögern (je nach Norm). Sie machen nur Sinn mit genug Auftrieb an der richtigen Stelle um eine Bauchlage sicher zu verhindern. Sie kommen zur Anwendung bei Haverie und notwendigem Verlassen des Schiffes in die Rettungsinsel oder ins Wasser. Spielen aber im Arbeitsalltag keine Rolle. Diese Anzüge kommen lediglich zum Einsatz wenn das eigene Schiff sinkt und wir selbst zum Seenotfall werden.

Zusammefassung:

Viele Paddler unterschätzen die Gefahr die von kaltem Wasser ausgeht. Besonders im Frühling und Frühsommer, wenn die Luttemperatur und das Wetter bereits sommerlich sind, das Wasser jedoch noch kalt. Mit kalt ist eine Wassertemperatur von unter 15 Grad gemeint. Nur die der Wassertemperatur angepasste Bekleidung schützt vor Kälteschock und verlängert zu einem gewissem Grad die Zeitspanne bis zur Handlungsunfähigkeit durch Kältelähmung.
Tod durch Kältelähmung bedingtes, zeitiges ertrinken und nicht die Hypotermi ist die häufigste Todesursache im Paddelsport.

Ein Trockenanzug ist das effektivste Mittel um seine Aktionszeit im Wasser und auch nach dem Wiedereinstieg zu verlängern, er schützt meist vor einem Kälteschock und verzögert t die Zeit der Auskühlung bis zur Kältelähmung, in Abhängigkeit der darunter getragenen isolierenden Bekleidung.

Ausnahmen sind møglich, jedoch nicht die Regel. Gerd (Putzer) Beschreibt in einem anderen Faden einen Fall auf Island, wo ein Fischer eigentlich unmögliches geschafft hat. Aus eigner Paxis kann ich jedoch sagen das fast alle Menschen fast gleich/ähnlich auf kaltes Wasser reagieren. Es gibt kaum wirkliche Unterscheide in der Normalbevölkerung. Auch gelegentliches Training und Fittens machen keinen wesentlichen Unterscheid beim auskühlen. Lediglich mentale Vorbereitung und regelmæssiges kalt baden (Eisbaden) kann einen Vorteil verschaffen, besonders bei der Vermeidung des ersten Kälteschock. Vor Hypotermi schützt lediglich Isolierung, auch Körperfett. Letzteres kan die Überlebenszeit mit und ohne Trockenanzug erheblich verlängern, vorausgesetzt eine ohnmachtsichere Rettungsweste wird getragen um die Luftwege zu sichern. Meist tritt der Tod jedoch lange vorher durch normales ertrinken ein.

Alle Fakten sprechen für das tragen eines Trockenanzuges in Kombination mit wärmender Unterbekleidung, angepasst an die Wassertemperartur im Bereich 1-15 Grad. Eine Schwimmweste ist obligatorisch, sie hilft einem sich im Wasser richtig zu possitionieren.

Problematisch sind sommerliches Wetter (zu warm für einen Trocki im Boot) und kaltes Wasser (zu kalt für Sommerklamotten im Wasser)


God Tur
Thomas aus Norwegen

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2949